Schriften zum virtuellen Museum

pfeil_12 Serie “Kosmosbild in St. Pankratius”

Willi Joliet

Der keramische Schmuckfußboden von Oberpleis

Veröffentlicht in: 50 Jahre Kolpingsfamilie Oberpleis 1929 – 1979
Eigenverlag der Kolpingsfamilie Königswinter - Oberpleis

Einleitung

Im Zuge von Renovierungsarbeiten in und an der Pfarrkirche St. Pankratius wurden 1974 beim Absenken des Fußbodens im Langhaus unter dem Natursteinbelag und einer Aufschüttungsschicht Reste eines keramischen Fußbodens wiederentdeckt.

Dieser Bodenbelag ist ein wichtiges Glied in der Kette keramischer Schmuck-fußböden, die in der Blütezeit der romanischen Baukunst im Rheinland verlegt wurden (z.B. Brauweiler, Merten, Seligenthal und Köln). Zentralstück des keramischen Bodenbelages in Oberpleis ist das Kosmosbild, das hinsichtlich Gestaltung und Ausführung einzigartig ist. Es kann zwar mit byzantinischen und italienischen Schmuckfußböden verglichen werden, ist aber durch die Gestaltung des Mikrokosmos – Makrokosmos - Schemas ohne Beispiel.

Das keramische Kosmosbild aus Oberpleis war vom 30. April bis zum 27. Juli 1975 zentrales Ausstellungsstück der Ausstellung MONUMENTA ANNONIS des Schnütgen - Museums in der romanischen Basilika von St. Cacilien zu Köln. Das Original wurde deponiert und 1978 eine von der Firma Tichelaar aus Makkum gefertigte Kopie in der Pfarrkirche verlegt.


Baugeschichte

Die Propstei Oberpleis wurde um 1100 von der Benediktinerabtei Siegburg gegründet. Die erste Propsteikirche war eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit Querschiff und Chor über einer Hallenkrypta mit vorgesetztem Westturm. Der erste Bauabschnitt konnte etwa 1160 abgeschlossen werden.

Wahrscheinlich nahm die Pfarrkirche St. Pankratius - es war bis 1805 eine Propsteikirche des Benediktinerordens - in der Zeit zwischen 1198 und 1205 im Thronstreit Philipps von Schwaben und Ottos IV. Schaden. Die Wiederherstellung erfolgte nach kunstgeschichtlichen Befunden um 1220 - 1230. Querschiff und Chor hat man auf altem Grundriss neu aufgebaut und das Langhaus eingewölbt. Wahrscheinlich wurde bei diesen spatromanischen Baumaßnahmen auch der keramische Schmuckfußboden verlegt. Dem veränderten Zeitgeschmack des Barock entsprechend wurde der Boden wohl unter Propst Bertram von Ans in der Zeit um 1645—1648 aufgehöht und mit Natursteinplatten abgedeckt.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden große Partien des keramischen Bodens aus der Kirche aufgenommen und fanden wahrscheinlich in den Wohn- und Wirtschaftstrakten der Propstei neue Verwendung.
Bei der Anlage eines Luftheizungsschachtes wurde der Boden leider angeschnitten.

Im Chor der Kirche verzichtete man bei den jetzt durchgeführten grundlegenden Erneuerungsarbeiten auf eine Absenkung des Bodens. Sollte auch hier der mittelalterliche keramische Belag verlegt gewesen sein, so wäre er nach Meinung der Denkmalspfleger spätestens bei der Verlegung des Terrazzobodens im Zuge der Wiethaseschen Renovierung (1891 - 1894) zerstört worden.

So blieb der keramische Schmuckfußboden aus dem Mittelalter nur noch teilweise erhalten. In diesen erhaltenen Partien ist jedoch das mittelalterliche Weltbild überliefert.


Die Geschichte des keramischen Fußbodens

Im Orient hat man schon in sehr früher Zeit, d.h. schon ca. 2000 v. Chr., die aus luftgetrockneten oder gebrannten Ziegeln erbauten Häuser mit Bodenbelägen aus Fliesen geschmückt.

Durch die Römer wurden keramische Fußböden in unserer Heimat bekannt. Der Anwendungsbereich ging von einfachen keramischen Belägen in untergeordneten Räumen bis zu beheizten keramischen Böden in Wohnbereichen.

Mit dem Untergang des römischen Reiches geriet auch die Bodenfliese mehr und mehr in Vergessenheit.

Böden wurden nun mit einem Kalk- oder Gipsestrich versehen. Noch im hohen Mittelalter führte man in vielen Kirchen im Rheinland Kalkmörtelestriche aus.

Erst seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts fand die Keramik neben oder mit Naturstein Verwendung als Bodenbelag in Sakralräumen.

Die Verwendung von keramischem Material ist in engem Zusammenhang mit den Kreuzzügen zu sehen, die enge kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zwischen dem Orient und dem Abendland brachten.

Über das Gebiet des heutigen Frankreich drang die neuerliche Verwendung von keramischen Fliesen durch Mönchs- und Ritterorden in unsere Heimat.

Keramische Böden des hohen Mittelalters zeigen oft eine besondere Beziehung zum Orient. Als Ganzes ähneln sie neben- und übereinandergelegten orientalischen Teppichen. So ist auch der Oberpleiser Schmuckfußboden zu verstehen, der keine klare Ordnung der Musterfelder erkennen lässt. Die Art der Einteilung ist in der Denkweise der Zeit zu sehen, sie ist nicht Resultat handwerklichen Unvermögens. Der keramische Boden ist Teil des Gesamtkunstwerkes ,,Gotteshaus“, zu dem Architektur, Wandmalereien, farbige Fenster, Altäre, Chorgestühle, liturgische Geräte, Reliquienschätze aber auch Wort und Musik gehörten.

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Mit freundlicher Genehmigung des Herrn Architekten Hans Merian

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Teil des Kosmosbildes mit der südöstlichen Zwickelrosette

Südöstliche Zwickelrosette

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Nordöstliche Zwickelrosette


Beschreibung des Bodens

Der Schmuckfußboden besteht aus roten, weißen, weiß-engobierten und schwarzblau-geschmauchten Fliesen. (engobieren = eine keramische Grundmasse mit einer andersfarbigen z.B. weißbrennenden Masse überziehen) (schmauchen = unter Sauerstoffentzug brennen, was eine schwarzblaue Färbung einer sonst weißbrennenden Tonerde bewirkt). Die Stärken der Fliesen wechseln von 18 mm bis 32 mm. Die Kanten sind leicht nach unten abgeschrägt. Der keramische Boden wurde in ein Kalkmörtelbett mit einer durchschnittlichen Fugenbreite von 3 mm verlegt.

Die Fliesen liegen in den Seitenschiffen als Schachbrettmuster in Diagonalverlegung. Jochweise ist das Schwarz-Weiß-Muster zu Teppichen gerahmt. Betont wird die jochweise Trennung noch durch unterschiedliche Verschiebung der Verlegeachse.

Auch im Mittelschiff liegt der Boden in teppichartiger Aufteilung. Die Musterung ist reich und hebt sich besonders durch die Verwendung roter Fliesen deutlich vom Belag der Seitenschiffe ab. Ein läuferartiger Mittelstreifen betont wirkungsvoll den Weg zum Altar.

Dem Mittelstreifen ist westlich ein quadratischer Teppich (Kosmosbild) vorgelagert. Die Seitenlange des Quadratfeldes beträgt cirka 3,70 m. Das Quadratfeld ist leicht verzogen. Die Bordüre des keramischen Teppichs wird aus schwarz-blauen diagonal gestellten Quadraten und weißen Dreiecken sowie schwarz-blauen Rechtecken als Rahmung gebildet. Die einbeschriebene Mittelrosette hat einen Durchmesser von 3,10 m. Die vier kleinen Zwickelrosetten haben jeweils einen Durchmesser von ca. 0,60 m.



Die Mittelrosette wird aus zwölf Kreisbändern gebildet, die eine Zentralplatte umschließen. Der äußere ungegliederte schwarz - blaue Kreisring tangiert die Schmuckbordüre und wird durch die Zwickelrosetten unterbrochen. Der nächst kleinere Kreisring aus ungegliederter weißer Keramik trägt Inschriften.

Die erhaltenen Bruchstücke der Inschrift dieses Kreisringes lauten: . . TAM ET CAPUT RO . . im nördlichen Teil und .. EG. IR . . im südlichen Teil.

Es folgen vier Kreisringe, die aus schwarz-blauen und weißen Dreiecken gebildet werden. Die Spitzen der weißen Dreiecke weisen nach außen.

Auf die vier gegliederten Kreisringe folgt ein ungegliederter schwarz-blauer Kreisring. Leider wurden von diesem Kreisring nur acht schwarz-blaue Keramikstücke gefunden. Im südöstlichen Teil des Kreisringes ist eine runde Fliese in weißer Farbe eingearbeitet, in die der Buchstabe C eingeschnitten ist. Auf den ungegliederten Kreisring folgen drei gegliederte Kreisringe. Dabei wechseln schwarz - blaue mit weißen Dreiecken, wobei die weißen mit den Spitzen wiederum nach außen weisen. Den Übergang zur Zentralrosette bildet ein ungegliederter weißer Kreisring. Ein Bruchstück wurde in der Aufhöhungsschicht gefunden. Dieses trägt die Buchstaben NT. In der Kopie wurden die Buchstaben NT in südöstlicher Richtung angeordnet. Die Zentralrosette ist wie die Zwickeirosetten gegliedert. Zentralscheibe und Dreiecke des Umkreises sind jedoch gänzlich in schwarz - blauer Keramik gefertigt.
Der Zustand ist in diesem Bereich nicht durch Funde gesichert.

Die Zwickel zwischen eingeschriebenem Kreis und Schmuckbordüre sind in polygonaler roter Keramik gearbeitet. Sie bilden den Grund für die vier kleinen Rosetten. Die Zwickelrosetten werden jeweils aus einer beschrifteten kreisrunden Scheibe, einem Kreisring aus schwarz - blauen und weißen Dreiecksfliesen sowie einem abschließenden weißen Kreisring gebildet. Die inneren Kreisringe bestehen jeweils aus neun weißen und neun schwarz - blauen Dreiecken. Die Spitzen der schmalen weißen Dreiecksfliesen weisen nach außen. Die abschließenden weißen Kreisringe tragen eingeschnittene Beschriftungen. Die Inschriften sind sehr sorgfältig in Großbuchstaben eingeschnitten. Die Wörter werden durch Punkte begrenzt.

Die Majuskelschrift (nur Großbuchstaben) besteht aus kapitalen und unzialen Buchstaben. A, E und T kommen in beiden Formen vor. Die kapitalen Buchstaben entsprechen einer weiterentwickelten Form der römischen Kapitalschrift, die unzialen Buchstaben sind eine späte Form der Unzialis, der Schrift des frühen Christentums in Süd- und Westeuropa. Der Name Unzialis stammt vom lateinischen uncia, das ist eine Zollgröße.

Die Buchstaben der Mittelkreise sind auf den Mittelpunkt der großen Rosette ausgerichtet und liegen auf den Diagonalen des quadratischen Feldes.

Die nordöstliche Zwickelrosette trägt auf der Kreisscheibe den Buchstaben A und die Umschrift: AER VER SANGVIS . In den äußeren Kreisring ist HVMI . . . T C. LIDUS eingeschnitten. In der Kreisscheibe der südöstlichen Zwickelrosette findet man im Zentrum den Buchstaben M und die Umschrift IGNIS ESTAS COLERA.

Vom äußeren Kreisring blieb LIDA E. SICCA erhalten. In der Aufhöhungsschicht fand man ein Bruchstück des Mittelkreises der nordwestlichen Zwickelrosette. Auf dem Fragment sind: der Ansatz des zentralen Buchstabens D und als Teil der Umschrift FLEG zu erkennen. Vom äußeren Kreisring haben sich zwei Teile mit den Buchstaben ID in situ erhalten.

Die südwestliche Zwickelrosette ist gänzlich verloren. Wo nordöstliche und südöstliche Zwickelrosetten den beschrifteten Kreisring der großen Rosette tangieren, liegen jeweils Passstücke, in die Kreuze eingeschnitten sind. In der Kopie wurden die Zwickelrosetten sinngemäß ergänzt!

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Mit freundlicher Genehmigung des Herrn Architekten Hans Merian

Das Kosmosbild

Der leicht verzogene quadratische, von einer Schmuckbordüre eingefasste, keramische Teppich zeigt uns ein schematisches Bild des Weltalls.

Der Begriff ,,Welt“ kann nicht nur geistig, sondern muss im ganzen strukturell gesehen werden. Den Sinngehalt des schematischen Weltbildes kann man nur zu begreifen versuchen, wenn man die geographischen Kenntnisse des mittelalterlichen Menschen berücksichtigt. Kulturströmungen sind ebenfalls mit in die Betrachtungen einzubeziehen. Von großer Bedeutung sind Byzanz und die Welt des Islam. Es gibt keinen Aufbruch der europäischen Vernunft in der Scholastik ohne den von Arabern und Juden vermittelten Aristoteles, keinen Anfang der Naturwissenschaft ohne die Mauren, keinen Handel und Wandel in den Räumen Mittelmeer und Osteuropa ohne Byzanz und die Muselmanen.

Philosophie und Theologie waren noch nicht streng getrennt. Aristotelische und neuplatonische Lehren verschmolzen in der Scholastik mit der christlichen Lehre. Die Überlieferung des Gedankengutes reicht hin bis zu den griechischen Naturphilosophen (Empedokles, Begründer der Vier – Elemente - Lehre) und Ärzten (Hippokrates, mit der Verknüpfung der vier Körpersäfte mit Temperamente), zu Platon und seinem Schüler Aristoteles, die Eigenschaften der Elemente miteinander verknüpften. Zum Verständnis des keramischen Weltbildschemas von Oberpleis tragen die kreisförmigen Mikrokosmos – Makrokosmos - Erläuterungen des Isidor von Sevilla bei. Ein dem Oberpleiser Kosmosbild vergleichbares kosmologisches Schema enthält der Liber floridus des Lambert von Saint-Omer auf fol. 228v (Gent, Centrale Bibliotheek van de Rijksuniversiteit).

Elemente, Jahreszeiten und Temperamente sind wie folgt verknüpft:
Erde (terra) ist kalt (frigida) zu Wasser (aqua) und trocken (sicca) zu Feuer (ignis). Feuer (ignis) ist trocken zu Erde (terra) und warm (calidus) zu Luft (aer). Luft (aer) ist warm zu Feuer (ignis) und feucht (humidus) zu Wasser (aqua).
Wasser ist feucht zu Luft und kalt zu Erde.
Die Elemente waren den Jahreszeiten zugeordnet. Zu Erde (terra) gehört der Herbst (autumnus), zu Feuer (ignis) der Sommer (estas), zu Luft (aer) der Frühling (ver) und zu Wasser (aqua) der Winter (hiems). Die Temperamente sind den Elemente und Jahreszeiten zugeordnet.
Zu Luft und Frühling gehört Blut (sanguis - Lebensfreude),
zu Feuer und Sommer gelbe Galle (colera - Heftigkeit),
zu Erde und Herbst schwarze Galle (melancolia - Schwermut),
zu Wasser und Winter Feuchtigkeit (flegma - Trägheit).
So verbindet sich der Makrokosmos mit dem Mikrokosmos im Mittelpunkt.

Der Oberpleiser Boden trägt die folgenden lateinischen Inschriften
(Ergänzungen sind eingeklammert):

(A) (TERRA, AVTVMNVS,)

 (MELANCOLIA)

(SICCA ET FRIGIDA)

D (AQVA, HIEMS,)

FLEG(MA)

(FRIGIDA ET HVM)ID(A)

A AER, VER,

SANGVIS 

HVMI(DVS E)T C(A)LIDVS

M IGNIS, ESTAS,

COLERA

(CA)LIDA E(T) SICCA


Die zum Mittelpunkt des Quadrates ausgerichteten Buchstaben auf den Mittel-scheiben der Zwickelrosetten ergeben den Namen ADAM.

ADAM (hebr. Mensch) steht nicht nur für den von Gott geschaffenen Menschen. Als Urheber von Sünde und Tod tritt Adam bei Paulus (Röm. 5,14 und 1. Kor. 15,45) in Gegensatz zu Christus, dem zweiten Adam und Urheber des Lebens. Im Mittelalter bezog man die vier Buchstaben ADAM auf die vier Gegenden ANATOLE ORIENS, DISSIS OCCIDENS, AROTOS SEPTENTRIO und MICCIMBRIA MERIDIES.

Eine Deutung der lnschriftfragmente des großen Kreisringes ist noch nicht gelungen.

Bei Herstellung der jetzt in der Kirche verlegten Kopie wurde auf eine textliche Ergänzung der inneren Kreisringe verzichtet, da die wenigen Fundstücke aus diesem Bereich keine klaren Rückschlüsse zulassen.

Folgt man den bekannten schematischen Darstellungen der viergeteilten Welt (z.B. einer enzyklopädischen Sammelhandschrift des 9. Jahrhunderts, die auch in Erzbischof Annos Besitz war — heute: Köln, Dombibliothek Handschrift Nr. 83 II), so könnten im Zentrum die Beschriftungen KOCMOC, MVNDVS, ANNVS und HOMO gestanden haben. Die viergeteilte Welt verdichtet sich in dem Zentrum ,,Erde – Jahr - Mensch“ als dem Makro- und Mikrokosmos.

Eine große Bedeutung wurde der Zahlensymbolik im Mittelalter beigemessen.

Drei: Diese Zahl galt schon im Altertum als heilig. Noch heute ist das Sprichwort in Gebrauch: ,,Aller guten Dinge sind drei.“ Der Grund für die Bedeutung und Beachtung der Dreizahl liegt in der Natur derselben. Bei der Vorstellung von Raum und Zeit stößt man immer wieder auf die Dreizahl. Zum Beispiel: Jedes Ding wird, ist und vergeht. Im räumlichen Denken erscheint uns der Raum als Anfang, Mitte und Ende, als Oben, Mitte und Unten oder als Höhe, Breite und Tiefe. Die Zeit ist uns bekannt als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Tag wird aufgeteilt in Morgen, Mittag und Abend, die Nacht in Abend, Mitternacht und Morgen. Das Dreieck ist die Grundfigur aller geradlinigen Formen.
Der Dreizahl begegnen wir auch bei der Entwicklung unserer Gedanken, im Erkennen, Vergleichen und Einordnen, oder dem Denken, Urteilen und Handeln.
Die Drei spielt eine große Rolle in der Götterlehre der Völker. Im Christentum ist die Drei das Symbol der göttlichen Dreieinigkeit.
Christus weilte dreiunddreißig Jahre auf dieser Welt. Eine besondere Beziehung besteht zwischen Oberpleis und den drei Weisen aus dem Morgenlande, denen im Altaraufsatz drei Erzengel entgegengestellt sind.
Von Bedeutung war die Drei im Mittelalter auch als Bezeichnung für das sogenannte ,,trivium“ (Dreiweg) bestehend aus Grammatik, Dialektik und Rhetorik, einem Teil der ,,septem artes liberales“ (der sieben freien Künste), als Lehrstoff der Klosterschulen.

Vier: Zu den drei sprachlichen Fächer des ,,trivium“ kamen die vier mathematischen Fächer des sogenannten ,,quadrivium“ Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie hinzu. Die grundlegenden Begriffe der mittelalterlichen Philosophie aber waren das ,,tradere“ (Überliefern), das den einzelnen in ein tragendes Ganzes eingegliederte und die ,,summa“ (das Ganze der Wissenschaften) das der gelehrte mittelalterliche Mensch in ein System zu bringen versuchte.
Die Vier ist im Oberpleiser Kosmosbild vielfach eingearbeitet. Als Beispiele: Das Feld hat die Form des Quadrates. Es gibt vier Zwickelrosetten, vier ungegliederte Kreise, vier gegliederte Kreise, vier Buchstaben für den Namen ADAM, die gleichen vier Buchstaben als Anfangsbuchstaben für die Weltgegenden, die Vierzahl der Elemente, Jahreszeiten, Eigenschaften und Temperamente. Sollten im Zentrum noch die Worte KOCMOC, MVNDVS, ANNVS und HOMO gestanden haben, so wäre hier wieder die Vierzahl festzustellen.
MVNDVS ist der aus vier Elementen geschaffene Makrokosmos, ANNVS die in vier Jahreszeiten unterteilte Zeiteinheit und HOMO der in vier Temperamente unterteilte Mikrokosmos.

100 als die Quadratzahl der 10 ist Symbol der Vollendung. So zeigt in Dantes ,,Divina Comedia“ (,,Göttliche Komödie“) die Hölle 9 Kreise und einen Vorhof, das Fegefeuer 9 Kreise und das irdische Paradies, das himmlische Paradies 9 Himmel und das Empyreum.

Es ist wirklich lohnend, sich das Oberpleiser Kosmosbild auch im Hinblick auf die Zahlensymbolik zu betrachten.

Eine erschöpfende Erklärung des Gesamtfeldes ist noch nicht möglich, da zu große Partien verloren und vergleichbare Bodenbeläge nicht bekannt sind.

Bis heute ist nur die kosmologische Deutung der vier Zwickelrosetten wissen-schaftlich gesichert.

Die Schriftfragmente der Zentralrosette geben Rätsel auf. So gibt es alleine für den in eine runde Fliese eingeschnittenen Buchstaben C eine große Zahl von Deutungsmöglichkeiten.

Der Buchstabe C ist dasjenige Schriftzeichen unseres Alphabetes, das im Laufe der Zeit die meisten Änderungen seines Gebrauches erfahren hat. So war das C über lange Zeit zugleich auch für G und K gebräuchlich.

Das lateinische C galt als Zahlzeichen 100 (im Mittelalter das Symbol der Vollendung), in den Gerichten bedeutete C auf den Stimmtäfelchen condemno = Verdammung. C steht als Einzelbuchstabe aber auch für cajus = Bräutigam, caput = Haupt, censor = Richter und collegium = Gemeinschaft. Bei den Neulateinern steht der Buchstabe C für Christus aber auch für carmen = Eides-Gebets-Gesetzesformel. C bedeutet caelestia = Astronomie, caelus = Himmelsgott, canis = Sternbild ,,großer Hund“ (bringt die heißeste Jahreszeit). C steht aber auch für die Tierkreiszeichen cancer = Sternbild Krebs, in das die Sonne am 21. Juni tritt (Süden-Sommerhitze) und capricornu = Steinbock.
Die Erklärung des Gesamtfeldes bedarf sorgfältiger wissenschaftlicher Bearbeitung.
Es wäre wünschenswert, dass sich Wissenschaftler dieser Aufgabe annähmen

Zusammenfassung

Das keramische Kosmosbild von Oberpleis ist in seiner Art bis heute ein einzig bekanntes Beispiel in Symbolik und Ausführung.
Es zeigt das mittelalterliche Weltbild, wie es in den Codices (gebundene Handschriften) dargestellt ist. Das Makrokosmos – Mikrokosmos - Schema geht zurück auf die Vermittlung des Wissens und Denkens durch Erzbischof Isidor von Sevilla (geb. um 560, gest. 633).

Seine Definition von Makrokosmos und Mikrokosmos gehörte im Mittelalter zum Lehr- und Lerngut der Klosterschulen. Auf den Oberpleiser Boden passt Kapitel 9 der Abhandlung ,,de natura rerum“ (von der Natur der Dinge) des Isidor von Sevilla:



Die Welt ist das All insgesamt. Sie besteht aus Himmel und Erde. Über sie sagt der Apostel Paulus: ,,Denn die Gestalt dieser Welt vergeht.“ (1. Kor. 7,3). Im übernatür-lichen Sinne aber wird die Welt passender Weise als Mensch bezeichnet:
Denn wie sie aus vier Elementen zusammengewachsen ist, so besteht er aus vier Säften (Temperamenten) und zwar in einem bestimmten gemischten Verhältnis. Deshalb haben die Alten den Menschen in einen Zusammenhang mit dem Bau der Welt gestellt, da ja auf griechisch die Welt Kosmos, der Mensch aber Mikrokosmos, das heißt, kleinere Welt genannt wird, besonders da ja auch die Schrift dem Begriff Welt den Begriff Sünder nahelegt, von denen gesagt ist: ,,Und die Welt erkannte ihn nicht.“ (Joh. 1,10).

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